Dr. Geibig: "Leuchtballen und Wurfmaschinen – bemerkenswerte Kampfmittel im Belagerungskrieg des Mittelalters und der frühen Neuzeit"
Wenn man sich mit Belagerung und Verteidigung von festen Plätzen, mit Belagerern und Belagerten im Mittelalter und in der frühen Neuzeit beschäftigt, so lässt sich einiges zur Festungsarchitektur, zur Artillerie, zu Form und Einsatz von Großgeräten wie Rammen und Türmen und manches über den Einsatz von Minen lesen. Schon die Feuerwaffen kleineren Kalibers, dies gilt auch für ihre Vorgänger, die mechanischen Distanzwaffen wie Armbrust und Bogen, erfahren in diesem thematischen Zusammenhang heute wie auch bei zeitgenössischen Chronisten anscheinend nur eine vergleichsweise bescheidene Aufmerksamkeit.
Wenn das schon für Handfeuerwaffen, die für damalige Verhältnisse recht wertvoll waren, zu gelten scheint, so verwundert es nicht, dass andere, vom verarbeiteten Material her eher geringwertige Waffen nur wenig Erwähnung fanden und finden. Dies gilt in vielerlei Hinsicht besonders für Kleinkampfmittel, von denen sich die meisten unter dem Begriff »ernstes Feuerwerk« zusammenfassen lassen. Interessanterweise gingen dagegen militärische Lehrmeister bzw. zeitgenössische Fachautoren wie z. B. Leonhart Fronsperger (1571), Ernst Braun (1682) und Wilhelm Dilich (1689) in ihren Publikationen erheblich ausführlicher auf die Herstellung und den Gebrauch des Feuerwerks ein.
Aufgrund ihrer wahrscheinlich kostengünstigen Herstellung aus vergleichsweise leicht und überall beschaffbaren Bestandteilen sowie ihrer meist handwerklich einfachen Herstellung und guten Handhabbarkeit, boten sich »Ernstfeuerwerke« für eine Massenproduktion und für entsprechende Vorratshaltung an. So wurden z. B. in Inventaren des Steierischen Landschafts-Zeughauses von 1625–1684 neben unterschiedlichen Halbfabrikaten und Zwischenprodukten mehr als 4000 Handgranaten aus unterschiedlichen Materialien, ca. 470 Pechkränze, 228 Sturmtöpfe, 24 Feuerballen und 1300 »Schläge« (»Mordschläge«) zur Armierung von Feuerwerk aufgeführt (Pichler 1880, XIX). Entsprechend ihres pyrotechnischen Charakters dienten diese Waffen üblicherweise nur zum einmaligen Gebrauch, waren also im wahrsten Sinne des Wortes ›Verbrauchsgut‹. Als sie letztlich ihre militärische Bedeutung verloren – einen wirtschaftlich relevanten Materialwert hatten sie meist wohl nicht besessen –, schwand sicherlich auch allgemein das Interesse an ihrer weiteren Aufbewahrung. Obwohl wahrscheinlich an zahllosen befestigten Orten Mitteleuropas in großen Mengen vorhanden, war der nunmehr nutzlose, oft zu einem beträchtlichen Anteil aus organischen Materialien bestehende ›Militärschrott‹ nur noch eine Last. Ohne schlechtes Gewissen ließ man ihn verkommen; wenn er störte, versuchte man ihn loszuwerden oder man duldete stillschweigend dessen sekundäre Verwertung. Eine fast vollkommene Entsorgung dieser Objekte war somit gewährleistet. Während die wertvolleren, in gewisser Hinsicht haltbareren Feuerwaffen auch nach ihrer ›aktiven‹ Verwendungszeit zu beachtlichen Anteilen in Rüstkammern, Zeughäusern und Arsenalen weiter aufbewahrt wurden und uns deshalb in vergleichsweise großer Anzahl überliefert sind, ist die ehemals wohl große Masse an Feuerwerk und anderen Kleinkampfmitteln auf einen verschwindend kleinen Rest zusammengeschmolzen, der seinem Charakter treu bleibend auch heute kaum Aufmerksamkeit erzeugt. Nur wenige Realien sind erhalten geblieben, noch weniger sind publiziert.
Nachbau eines Feuerballens (Brand- oder Leuchtsatz) von ca. zwei bis drei Kilo
In der einschlägigen Feuerwerksliteratur dagegen nimmt die Herstellung von „Feuerballen“ einen nicht unbeträchtlichen Raum ein. Diese dienten Angreifern wie auch Verteidigern von festen Stellungen als Brandsätze bzw. zur Beleuchtung eines Kampffeldes. Als Brandsätze sollten die Ballen leicht brennbare Bestandteile von Häusern, Wehren und Maschinen entzünden und im günstigen Falle zerstören. Notwendige Löscharbeiten oder zumindest Löschversuche banden unter Umständen in erheblichem Maße gegnerisches Personal und schwächten so zusätzlich die feindliche Kampfkraft.
Bei gleichem Grundprinzip gibt es zahlreiche Varianten dieses Feuerwerks die sich in ihrer Größe und Handhabung erheblich, in ihrem technischen Aufbau, ihrer Spreng-, Brand- und Leuchtmittelfüllung und ihrer Funktion geringfügiger unterscheiden. Die meisten Anleitungen beschreiben Brand- und Beleuchtungssätze, die in der Regel für den Wurf mittels eines Mörsers oder – wohl seltener – mittels mechanischer Wurf- bzw. Schleudermaschinen konzipiert waren.
Genau so eine Maschine ist zumindest als Modell des 16. Jahrhunderts bis in unsere Zeit bewahrt worden. Im Rahmen eines Projektes im BFZ Coburg wurde in den vergangenen Monaten auf der Basis des Modelles versucht, diese Maschine in der vermuteten Originalgröße zu rekonstruieren. Geplante Tests sollen in den kommenden Monaten Aufschluß über mögliche Leistungen , wie u.a. Schußweiten, Schußfrequenzen, Streueigenschaften und Handhabbarkeit dieses über vierhundert Jahre alten, in Form eines Modelles überlieferten, Konzeptes geben. Wir sind alle sehr gespannt…!
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Dr. Alfred Geibig
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